Neue Welt, neue Werte

Die Corona-Pandemie hat nicht nur das gesellschaftliche Leben, sondern auch die Wirtschaft nachhaltig verändert. Das betrifft auch die Finanzbranche und das Anlegerverhalten.

Money/Times 21/02
  • Text: Thomas Hammer
  • Illustration: Agata Sasiuk
Ideen entspringen dem Kopf

Noch keine zwei Jahre ist es her, dass der Begriff Corona höchstens mit einer mexikanischen Biermarke in Verbindung gebracht wurde. Erst als uns im März vergangenen Jahres schockierende Bilder aus Norditalien erreichten und kurze Zeit später der erste Lockdown folgte, war nicht nur in Fach- kreisen klar: Das neuartige Virus war nicht irgendein neuer Grippeerreger, sondern Auslöser einer Pandemie, die innerhalb kürzester Zeit das Leben auf der ganzen Welt verändern sollte.

Euro und Wolke Illustration

Praktisch jeder Bereich des öffentlichen, wirtschaftlichen und privaten Lebens wurde vom Coronavirus auf brachiale Weise umgekrempelt. Künstler und Event-Veranstalter verloren von heute auf morgen ihre berufliche Existenz- grundlage, die Gastronomie- und Reise- branche stürzte in eine tiefe Krise, Eltern mussten zwischen Homeoffice und Homeschooling jonglieren – und der Finanzminister packte die vielzitierte Bazooka aus, um mit milliardenschwe- ren Hilfsprogrammen das Schlimmste zu verhindern.
Schon bald war klar: Die Welt würde nicht untergehen, sich aber deutlich ver- ändern. Im Lauf der Pandemie reifte dann die Erkenntnis, dass es längst nicht in allen Belangen Sinn ergibt, auf die Wiedererlangung des Status quo vor dem Ausbruch der Pandemie hinzuarbeiten. In mancher Hinsicht hat Corona eine Entwicklung beschleunigt, die schon zuvor absehbar war. So entstand im Verlauf der vergangenen eineinhalb Jahre eine neue Welt mit neuen Werten.

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Online Boom bei Senioren Infografik

Neue Bankenwelt: Mehr Online- banking, weniger Filialen

Bislang sind Banken und Finanzdienst- leister einigermaßen glimpflich durch die Coronakrise gekommen. Allerdings geraten die Erträge durch unterschied- liche Faktoren unter Druck: Zum einen mindert die expansive staatliche Geld- politik mit Null- und Negativzinsen das Ertragspotenzial von Bankprodukten, und zum anderen nagt die finanzielle Vorsorge für Kreditausfälle im Firmen- kundensegment an den Gewinnen. Die Unternehmensberatung McKinsey hat ausgerechnet, dass bis 2024 die Erträ- ge der globalen Bankenindustrie um 3,7 Billionen US-Dollar zurückgehen. Als wichtigste Instrumente für den Erhalt der Ertragskraft empfiehlt McKinsey unter anderem mehr Fokus auf nach- haltiges Handeln und eine beschleunig- te Digitalisierung der Geschäftsmodelle.
Gerade bei der Digitalisierung besteht bei vielen Filialbanken noch großer Nachholbedarf, der teure Investi- tionen erfordert. Bislang konnten sich Filialbanken zumindest bei den älteren Kunden darauf verlassen, dass diese ihren Filialen und den dort tätigen Berater- innen und Beratern die Treue hielten.
Doch damit ist nun Schluss: Laut einer Studie des Online-Branchen- verbandes Bitkom stieg nicht nur der Anteil an Online-Bankkunden von 70 auf 80 Prozent. Gerade im Bereich der Senioren erhöhte sich die Quote an Onlinekunden massiv. Nutzten im Jahr 2019 gerade einmal 21 Prozent der über 65-Jährigen Online-Bankdienstleis- tungen, waren es 2021 mit 39 Prozent schon fast doppelt so viele. „Seit Corona erleben wir einen regelrechten Sturm der Seniorinnen und Senioren auf die Online-Filialen der Banken“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.
Für Bankfilialen und die dort be- schäftigten Mitarbeitenden ist das keine gute Nachricht. Das ohnehin schon geschrumpfte Filialnetz dürfte sich weiter ausdünnen – allein die Sparkassen und Genossenschaftsbanken schlossen im vergangenen Jahr fast 1.400 Filialen, die Privatbanken machten rund 1.100 Zweigstellen dicht. Eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens PwC geht davon aus, dass europaweit in den kom- menden zwei Jahren bis zu 40 Prozent der jetzt noch bestehenden Bankfilialen vor dem Aus stehen.

„Angesichts der volatilen Aktienmärkte, dem Mangel an Anlagealternativen, dem niedrigen Zinsniveau sowie der steigenden Inflationsrate werden Käufer weiterhin bevorzugt in krisen- resistente Immobilien investieren.“
— Kai Enders, Engel & Völkers
Fintech Apps Illustration

Neue Konkurrenz durch Fintechs

Während Filialbanken noch dabei sind, ihre Hausaufgaben im Fach Digitali- sierung nachzuholen, erwächst ihnen in Form von Fintechs immer stärkere Konkurrenz. Als Fintechs werden Start- ups bezeichnet, die mit innovativer Technologie digitale Finanzdienst- leistungen erbringen. Neue Anbieter wie der automatisierte Vermögensverwalter Scalable Capital, Zahlungsdienstleister wie Klarna und SumUp oder reine Online- banken wie N26 und Fidor setzen mit schlanker Struktur und attraktiven Preismodellen die etablierten Banken mächtig unter Druck. Der durch Corona befeuerte Trend zur Abwicklung von Finanzgeschäften über das Internet spielt den neuen Akteuren dabei in die Karten.
Auf dieser Erfolgswelle surfen neuerdings auch digitale Wertpapier- händler, so genannte Neobroker, die sogar den effizient arbeitenden Online- banken Kunden abjagen. Erfolgsrezept der aufstrebenden Konkurrenten sind einfachste Bedienung und Kampfpreise. So lassen sich Orders mit minimalem Aufwand auf dem Smartphone abwickeln, und die Gebühren liegen meist noch weit unter denen der Direktbanken. Einzelne Broker führen nicht nur die Kunden- depots zum Nulltarif, sondern verlan- gen auch für die Ausführung der Kauf- und Verkaufsaufträge keine Gebühren.
Geld verdienen die Anbieter mit den Rückvergütungen der Handels- plätze, auf denen die Orders ausge- führt werden. Denn: Die Aufträge laufen nicht über den elektronischen Xetra-Handel der Deutschen Börse, sondern über private Handelsplatt- formen, die von Banken und Wert- papierhändlern organisiert werden. Vorreiter dieser Bewegung ist der Berliner Online-Broker Trade Republic, der seinen Kunden den provisionsfreien Handel von mehreren Tausend Aktien und Indexfonds in Form von ETFs an- bietet und derzeit mit einer Bewertung von rund fünf Milliarden US-Dollar eines der wertvollsten europäischen Fintechs ist.

Wer mehr Zeit im Homeoffice und am Computer verbringt, recherchiert häufig auch auf eigene Faust zu privaten Finanz- und Vorsorgethemen.

Neue Werte: Anleger ändern ihr Verhalten

Die Entwicklungen im Bankensektor gehen einher mit einer Veränderung des Anlegerverhaltens im Verlauf der Pan- demie. Wer mehr Zeit im Homeoffice und am Computer verbringt, recher- chiert häufig auch auf eigene Faust zu privaten Finanz- und Vorsorgethemen. Gerade bei auslaufenden Festgeld- anlagen oder Sparbriefen stellen Anleger ernüchtert fest, dass sie für eine neue Zins- anlage praktisch keinen Ertrag mehr erhalten oder ab einer gewissen Summe sogar Strafzinsen zahlen müssen.
Eine der Konsequenzen daraus zeigt die aktuelle Studie „Aktienkultur in Deutschland“, die im Auftrag einiger Direktbanken das Anlageverhalten der Deutschen analysiert hat. So sehen vier von zehn Befragten in der aktuellen Niedrigzinsphase einen Grund, um verstärkt in Wertpapiere zu investie- ren. Dabei gilt: Je jünger die Anleger, umso offener sind sie für Aktien und Fonds als langfristige Geldanlage. „Die anhaltende Niedrigzinsphase hat das Anlageverhalten der Deutschen verän- dert“, so das Resumee der Studienauto- ren. Mit ein Grund für das wachsende
Interesse an Wertpapieranlagen ist die Popularität der Neobroker, die mit ein- fach zu handhabendem Trading per Smartphone und kostenlosen Orders vor allem jungen Menschen Aktien und ETFs schmackhaft machen.
Angesichts des globalen Klima- wandels, dessen Auswirkungen auch während der Pandemie immer wieder sichtbar wurden, stieg auch in jüngster Vergangenheit das Interesse an nach- haltigen Kapitalanlagen weiter an. Vor wenigen Monaten ergab eine Umfrage der Landesbank Baden-Württemberg LBBW, dass im Schnitt sieben von zehn Bundesbürgern bei einer neuen Geld- anlage auf die Nachhaltigkeit achten. Besonders hoch ist die Sensibilität für die ökologische und soziale Verträg- lichkeit der Kapitalanlage bei jungen Menschen unter 30 und Familien mit Kindern, wo fast 80 Prozent beim Anle- gen auf nachhaltige Kriterien achten.

Neuer Eigenheimtrend: Raus aufs Land

Im Verlauf der Pandemie haben die Deutschen das Eigenheim als Rückzugs- ort neu entdeckt. „Der Wunsch nach Sicherheit und Homeoffice-Möglich- keiten hat viele bewogen, ihren Traum vom eigenen Zuhause wahrzumachen“, sagt Jörg Utecht, Vorstandsvorsitzender des Finanzierungsvermittlers Interhyp. Trotz unsicherer Konjunktur stiegen die Immobilienpreise weiter, besonders gefragt sind Einfamilienhäuser mit Garten und ausreichend Platz fürs Home- office. Weil zahlreiche Unternehmen ihren Mitarbeitern auch nach dem Ende der Pandemie das teilweise Arbeiten
von zu Hause aus ermöglichen, nehmen viele Kaufinteressenten einen weiteren Anfahrtsweg in Kauf, um sich dafür mehr Wohnfläche leisten zu können.
Dass immer mehr Menschen von der Stadt aufs Land ziehen wollen, bestätigt auch das Wirtschaftsfor- schungsinstitut ifo in einer aktuellen Umfrage. Im Fazit der Studie schreiben die Autoren: „Viele Befragte geben an, in Zukunft näher an der Natur leben und weniger Kompromisse bei den eigenen Wohnverhältnisse und beim Wohnumfeld machen zu wollen, da sie aufgrund der Pandemie mehr Zeit zu Hause verbringen.“

Sparschwein Illustration

Immobilien als Kapitalanlage: Auch in Corona-Zeiten gefragt

Trotz der mit der Pandemie einher- gehenden wirtschaftlichen Unsicher- heit befinden sich die Immobilienpreise weiterhin im Steigflug – nicht zuletzt dank der Nachfrage durch Kapitalanleger. „Angesichts der volatilen Aktienmärkte, dem Mangel an Anlagealternativen, des niedrigen Zinsniveau sowie der steigenden Inflationsrate werden Käufer weiterhin bevorzugt in krisenresistente Immobilien investieren,“ sagte Kai Enders, Vorstandsmitglied der Maklergruppe Engel & Völkers, bei der Präsentation des aktuellen Marktberichts.
Untersucht wurden in der Engel & Völkers-Studie 71 Städte. Das Ergebnis: Überall sind im vergangenen Jahr die Preise für Eigentumswohnungen gestiegen, wenn auch in unterschied- lichem Tempo. Vor allem in mittel- großen Städten stiegen die Preise stark an, während in den Metropolen der Preisauftrieb auf hohem Niveau etwas langsamer vonstattenging. Auch in der aktuellen Lage sieht Enders die vermietete Immobilie weiterhin als solides Investment: „Der Bedarf nach Wohnraum wird auch angesichts der Corona-Krise nicht abnehmen – denn gewohnt wird immer.“

THOMAS HAMMER ist Wirtschaftsjournalist und berichtet für die Zeit, die Welt und die Süddeutsche Zeitung.


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